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Mutunduri

Mit dem Bus 160km von Nairobi über Embu nach Mutunduri. Noch 2km zu Fuß. Ich bin da. Gemeinsam mit meinem Kumpel Zac tauche ich ins rurale Leben am Fuße des Mt. Kenia ein. 

Mercedes in Mutunduri

Kleine, simple Holz- und Lehmhäuser zieren die Landschaft. 


Zac und ich verbringen unsere Zeit im Haus einer Bekannten, die in den USA lebt. Die Nachbarskinder sind den ganzen Tag bei uns. Kevin, ein kleiner Junge, fragt mich: "Gibt es eine Brücke von Afrika in die USA?" Seit Mitte der 1960er Jahre gab es keine großen Verbesserungen mehr in der Dorfschule.


Mutunduri ist einer der fruchtbarsten Orte Afrikas. Neben dem vielen unterschiedlichen Gemüse und Obst wird hier auch der Kathstrauch angebaut. Kaut man seine Blätter, wird man in einen leichten Rauschzustand versetzt: weniger Hunger und Müdigkeit, dafür mehr Energie und Fröhlichkeit. Das Hochgefühl klingt nach zwei Stunden in einer depressiven Verstimmung aus.

Bananenstaude

Reich an fruchtbaren Böden, reich an Bodenschätzen. Warum ist Afrika arm? Plünderung und gesellschaftliche Enteignung durch den Westen. Korrupte Eliten im eigenen Land. Zurückgelassen werden Hungerlöhne und Umweltverschmutzung. Selbst die jahrzehntelange massive Entwicklungshilfe hat nicht viel verändert: Das Verhältnis zwischen Afrikas Kapitalabfluss und Kapitalzufluss beträgt immer noch 10:1.


Was mit Kakao, Tomaten und anderen Produkten in Afrika geschieht, passiert auch mit Kaffee: Hochwertige Arabica-Bohnen werden ins Ausland exportiert. Billiger Instantkaffee wird importiert. Und so gibt es in Afrikas Kaffeemekka nur Instantkaffee für uns.

Kaffee

Als Mzungu (=Weißer) wird man in den Städten von jeder Person dementsprechend angestarrt. Auch hier. Aber hier folgt ein Winken und herzliches Lächeln hinterher. Und noch mehr: Wenn ich durch Feld und Wald spaziere, laden mich die Menschen zu sich ein und geben mir sogar kleine Geschenke mit auf den Weg: Bananen, Papayas oder Macadamia-Nüsse.

Macadamia-Nüsse

Unterwegs hält mich ein Nachbar auf. Er möchte, dass ich eine seiner Papayas koste. Das möchte ich auch. Mit einem langen Stock holen wir die süße Frucht herunter. Während ich nach einem Messer suche, um die Frucht für uns aufzuteilen, hält mir der alte Mann bereits einen vollen Sack mit fünf Papayas entgegen. "Die sind alle für dich," sagt er. "Bitte, bitte. Fühl Dich bei uns wie zuhause."

Papayas pflücken

Als ich am nächsten Morgen die Haustüre aufmache, läuft mir Sharon, das Nachbarskind, lachend entgegen. Sie hält fünf Maracujas in der Hand. Sie sind für mich. Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich sagen soll.

Maracuja

Unsere Nachbarn - Will und Mama Mumbi - kochen jeden Tag für uns. Es nützt auch nichts, wenn Zac und ich unser eigenes Essen zubereiten. Mama Mumbi kommt trotzdem jeden Morgen, jeden Mittag und jeden Abend mit frisch gekochtem Essen zu uns. Der innerliche Reichtum der Menschen in Zentralfrika ist unermesslich.

Ugali und Sukuma

Dieses erwartungslose "Geben" könnte nicht höher eingestuft werden. Familien leben hier von 1-2€ pro Tag und sind komplett auf ihr kleines Ackerland angewiesen. Gekauft wird nur das Nötigste: Mehl, Holzkohle oder Speiseöl. Einmal lässt Zac seine Thermoskanne fallen. Sie zerbricht. Mama Mumbi lacht und sagt: "Zac, eine Thermoskanne musst Du wie ein eigenes Baby behandeln!" Sie hat 5€ gekostet. 

Sukuma (Grünkohl)

Mich interessiert der soziale Zusammenhalt. Deshalb frage ich Will: "Was würde passieren, wenn ich Mais anbaue und meine Körner sind besser als Deine?" - "Dann würden wir Deine Körner essen." - "Und wenn es umgekehrt läuft?" - "Dann würdest Du unsere essen." Das Kollektiv zählt mehr als das eigene Ego.

Ziege

frische Milch

Ich werde zu einem Begräbnis eingeladen. Aus Respekt schieße ich keine Fotos. Der Ablauf ist der gleiche wie in westlichen Ländern. Nur einen Unterschied erkenne ich: Es wird viel weniger geweint.

Reis, Kartoffeln, Tomaten

Nach dem Begräbnis werden wir zu Verwandten von Mama Mumbi eingeladen. Zuerst essen, dann sprechen. Zac und ich sind von 6 Frauen umgeben. Ideal um einiges über das Rollenverhältnis von Mann und Frau herauszufinden. Es ist erschütternd...


Durchschnittlich hat ein Mann sieben Frauen, von denen er Kinder mit drei Gattinnen hat. Nur: Bloß kein Sex vor der Ehe. Jetzt verstehe ich, warum hier jeder mit jedem verwandt zu sein scheint. Ich frage ein 17-jähriges Mädchen, wie viele Ehefrauen ein Mann haben sollte: "Solange er für alle Frauen und Kinder sorgen kann, gibt es kein Limit. Aber ich denke, zwei Frauen für einen Mann sind ok." Ich halte meine Mimik im Zaum, um mir meine Abneigung zu dieser Meinung nicht anmerken zu lassen. Als ich ihnen sage, dass ich nur Kinder mit einer Frau haben will, die ich wirklich liebe, sind alle sehr überrascht. "Du bist romantisch", fällt eine Reaktion sehr diplomatisch aus. 

Stier wird gefesselt

"Was geschieht, wenn ein Mann seine Frau mit einem anderen erwischt?", frage ich. Alle lachen. Dann würden keine Worte, sondern Taten zählen: Der Mann bringt den anderen Mann ganz einfach um. "Und was passiert, wenn eine Frau ihren Mann mit einer anderen erwischt?" - "Ich wäre traurig, aber würde ihm vergeben." Frauen sind hier das klar schwächere Geschlecht, obwohl sie in Wirklichkeit die stärkeren sind: sie führen den Haushalt, sie ziehen die Kinder groß und bewirtschaften sogar das Ackerland. Die Männer arbeiten manchmal. Meistens sind sie dem Alkoholismus verfallen. Das wenige Geld, das sie haben, das ihre Familie so dringend benötigen würde, geben sie für Schnaps und Bier aus.


"Gibt es Gewalt?", frage ich die Frauen. "Ja. Manche Männer schlagen ihre Frauen. Aber wenn unser Mann betrunken nach Hause kommt, schlagen wir ihn." Als ich von den Gewaltmethoden gegenüber Kindern erfahre, dreht es mir den Magen um:
1) In der Nacht setzt man es nackt vor die Haustür.
2) Auspeitschen.
3) Ein Kind muss solange mit bloßem Fuß gegen eine Steinmauer schlagen, bis sie zerbricht.
4) Über einer qualmenden Feuerstelle wird ein Kind an seinem Fuß aufgehängt. Kopfüber hängt es so eine ganze Nacht. Eine Rauchgasvergiftung ist wohl das geringste Problem dabei.

Ameisenkunst: Straße, Tunnel und Zaun

Ich treffe auch einige Flüchtlingskinder aus Nordkenia und dem Südsudan in Mutunduri. Papa und Mama wurden in ihrem Dorf erschossen, Schwestern vergewaltigt und Brüdern die Hände abgehakt. Ich sehe ihnen beim Spielen zu. Während ich mit den Tränen kämpfe, kann ich bei ihnen keine Spur von einer Traumatisierung erkennen. Sie lachen genauso viel, wie alle anderen hier.

8kg Ugali

Am Weihnachtsabend kochen Zac und ich 8kg Ugali (Getreidebrei), 6kg Mandazi (Teigtaschen) und einen Eintopf mit Tomaten, Rosmarin und Knoblauch. Wir laden alle Nachbarn ein. Meine Idee, ein Stück Banane in die trockenen Teigtaschen gelegt zu haben, schmeckt ihnen besonders gut. Sie wollen mein Bananen-Mandazi in Zukunft an der Straße verkaufen.


Für die Kinder habe ich einige Geschenke gekauft: Süßes, ein Kartenspiel, Kreidestifte und ein Seifenblasenspiel. Ich habe noch nie in meinem Leben Kinder gesehen, die sich so sehr über etwas gefreut haben. 


Bei meinen täglichen Spaziergängen hat mir einige Tage zuvor ein Mann zufällig erzählt, dass alle Jungs und Mädchen so gerne einen Ball zum Spielen hätten. Aber niemand im Dorf sei in der Lage, ihnen einen Ball zu kaufen. Als ich den Kindern zu Weihnachten das runde Leder schenke, springen mich alle vor Freude an. 


Ich bringe ihnen ein paar Tricks bei. Mann oder Frau, Jung oder Alt, wir spielen bis in die frühen Morgenstunden. Auch das Tanzen fällt hier nicht schwer. Afrikanische Trommelmusik bewegt die Glieder von ganz allein. 




Danke Mutunduri. Ihr habt mich wie einen Sohn aufgenommen.

Der Weiße hat die Uhr, der Schwarze hat die Zeit.

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